Dieter Kiessling

born 1957 in Münster, lives and works in Düsseldorf
Werke von Dieter Kiessling bei PEAC
Staub 2
Staub 2, 2000
Betrachtet man die 2013/14 entstandene Fotoserie „People in mirror are closer than they appear“ von Dieter Kiessling – den Titel kann man durchaus in Anlehnung an den Sicherheitshinweis auf Seitenspiegeln amerikanischer Autos lesen – lässt sich die kunsthistorische Tradition des Porträts keinesfalls ausblenden. Die Aufgabe des Bildnisses, das bis heute als ein Hauptgegenstand der Malerei gilt, besteht darin, einen bestimmten Menschen so darzustellen, dass es diesem ähnlich ist, d.h. seine Individualität anschaulich vergegenwärtigt und hinter seiner körperlichen Erscheinung seelische Zustände sichtbar macht. Es stellt sich nun die Frage, ob auch die fotografischen Porträts von Dieter Kiessling dieser Bildtradition entsprechen.
Bei ihrer Betrachtung fällt zunächst die immer gleiche Anordnung zweier Individuen auf: Als Halbfiguren in Frontansicht sind sowohl der Porträtierte als auch der Porträtierende, in ruhiger Haltung nebeneinander stehend, zu sehen. Während die porträtierte Person jeweils eine andere ist, handelt es sich bei dem Porträtierenden stets um dieselbe Person, den Künstler selbst, der die immer gleiche Kleidung trägt und eine identische Haltung einnimmt - mit beiden Händen eine schwarze Spiegelreflexkamera haltend. Den direkten Blick ins Gesicht, in dem sich die individuellen Merkmale eines Menschen besonders dicht sammeln, gewährt dabei nur der Porträtierte. Dagegen ist das Gesicht des Porträtierenden vollständig hinter der Kamera versteckt, die das Bildnis produziert hat und so schauen wir als Betrachter ebenfalls unmittelbar in jene Linse.
Dieter Kiessling hat mit seiner Kamera aber nicht einfach sich selbst (indirekt) und den jeweils anderen Akteur unmittelbar fotografiert, sondern bereits nur ihr Abbild – nämlich ihr gemeinsames Spiegelbild. Tatsächlich ist es so, dass der Blick auf das eigene und das des jeweils anderen im Spiegel erschienene Anlitz mit Hilfe des technischen Apparats in ein Bildnis übertragen wird. Gleichzeitig produziert die Kamera aber nicht nur ein Doppelporträt dieser Qualität, sondern gerade weil sie dazu in den Spiegel „schaut“, auch eine eigene Darstellung von sich selbst.
Bewegungslos, im Moment des Auslösens von der Kamera im Bild festgehalten, geradezu eingefroren, erscheinen die beiden menschlichen Akteure vor dem farblich neutralen Hintergrund weniger wie lebendig-bewegliche Individuen als wie deren skulpturale Abbilder. In annähernder Lebensgröße dargestellt, begegnen sie so dem Betrachter nicht nur im Blick, sondern vor allem auch in einem räumlichen Zusammenhang. Fragen nach unserer eigenen äußeren Form und Ausdehnung im Raum werden so aus der Bildfläche in den realen Raum übertragen.